Mach‘ dich besser! –
oder „Was mir ein digitales Coachingprogramm wirklich bringen kann?“
In ManagerSeminare (Februar 2016, Heft 215) begegnet mir Cristián Gálvez auf Seite 7 mit dem Bericht über sein neues Online-Coaching-Programm. Cristián Gálvez ist Motivationscoach und Persönlichkeitstrainer und hat dieses Online-Coaching-Programm zusammen mit einem Tochterunternehmen von ProSiebenSat.1 entwickelt, um Coaching jedermann zur Verfügung zu stellen.
Das Online-Coaching-Programm richtet sich an Personen im Alter von 30 – 49 Jahren, die „nicht hundertprozentig davon überzeugt sind, dass sie schon das Bestmögliche aus ihrem Leben machen“ (Originalzitat aus dem genannten Artikel). Nach einem Blick auf die dazugehörige Homepage könnte ich mich nun zu einem Gratis-Coaching und zum Newsletter anmelden. Über die Vita von Cristián Gálvez erfahre ich fast nichts auf der Promotion-Seite des Coachingprogramms, sondern erst auf der persönlichen Homepage.
Wie schade, dass ich im vergangenen Jahr meinen 50. Geburtstag gefeiert habe.
Somit passe ich nicht mehr in die Zielgruppe und komme jetzt nicht mehr in den Genuss dieses Coachingprogramm in 21 aufeinander aufbauenden ca. 30 minütigen Videos, die mich beim „Erkunden meiner Persönlichkeit“ unterstützen und mir wertvolle Lernimpulse geben wollen. Heißt das, dass meine Chance nun unwiderruflich vertan ist, noch mehr aus meinem Leben (als bislang schon) zu machen? Aber vielleicht ist auch ein Online-Videokurs für mich nicht das passende Tool? Obwohl ich eigentlich davon ausgegangen bin, dass die Weiterentwicklung eines Menschen (auch durch Coaching) nicht an einer bestimmten Altersgrenze Halt macht.
Meine zentrale Frage im Hinblick auf dieses Online-Coachingangebot ist vielmehr, inwieweit die elf Kernkompetenzen der ICF auf dieses (oder grundsätzlich ein) Online-Coachingprogramm anwendbar sind. „Wie soll das denn jetzt genau funktionieren?“ ist mir als allererstes durch den Kopf gegangen.
Durch die angebotene Form in 21 Selbstlerneinheiten mit konkreten Umsetzungsfragen und –impulsen könnte ich mir vorstellen, dass insbesondere
- Kernkompetenz #8 (Bewusstsein schaffen);
- Kernkompetenz #9 (Handlungen entwerfen) und
- Kernkompetenz #10 (Planung und Zielsetzung)
in diesem Programm gut verwirklicht sein könnten.
Bei den anderen Kernkompetenzen fehlt mir im Augenblick die Phantasie, wie diese Kernkompetenzen in einem aufeinander aufbauenden Video-Kurs eingebracht sind. Einer meiner größten Zweifel liegen bei Kernkompetenzen, die sich mit den „Grundlagen des Coachings“ und mit der „Gestaltung der Beziehung“ beschäftigen.
Mein persönliches Fazit:
Für mich ist der Titel „Online-Coaching-Programm – Mach dich besser!“ irreführend, da ich stark vermute, dass es sich in der Tat nicht um Coaching gemäß der Kernkompetenzen der ICF handelt.
Da ich keine Probelektion angeschaut habe, kann ich keinerlei Aussagen über die inhaltliche Qualität der Videosequenzen machen. Allerdings stellt sich mir die Frage, was das für mich Besondere dieses Videokurses sein könnte, was ich nicht auch in einem ähnlich aufgemachten Buch nachlesen könnte bzw. schon gelesen habe, was meinem Leben einen nachhaltigen Impuls gegeben hat (AMS).
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Cristián Gálvez (Sonntag, 24 Januar 2016 12:08)
Sehr geehrte Frau Schweppenhäußer,
vielen Dank, dass Sie sich in Ihrem Blog meinem neuen Online-Programm gewidmet haben.
Sehr gerne nehme ich zu Ihrem Text Stellung und hoffe damit, Ihre wichtigen Fragen zu beantworten.
Kernkompetenz #5 der ICF bezieht sich auf das "Aktive Zuhören". Deshalb erlauben Sie mir bitte den Hinweis, dass der Titel des Programms nicht "Mach Dich besser" sondern "Das Beste in Dir!" lautet. Tatsächlich taucht der von Ihnen zitierte Titel in der gesamten Kommunikation überhaupt nicht auf.
Richtig ist, dass die Weiterentwicklung des Menschen nicht an einer bestimmten Altersgrenze Halt macht. Richtig ist aber auch, dass bei einem solchen Produkt im Rahmen der Konzeption eine Kernzielgruppe definiert wird, für die das Programm zugeschnitten wird. Ich werde mich zukünftig differenzierter ausdrücken und danke Ihnen deshalb für diesen wichtigen Hinweis.
Um Ihre "Phantasie" zu beflügeln finden Sie auf der Homepage der Seite alle 21 Schritte des Programms einzeln aufgelistet. Hier können Sie sich möglicherweise ein genaueres Bild davon machen, ob mein Programm den Kriterien der ICF entspricht.
Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob eine vergleichsweise geringe Investition in die Selbstentwicklung nur dann wertvoll ist, wenn diese Entwicklungsmaßnahme den Kriterien der ICF entspricht. Diese Kausalität sehe ich nicht.
Der wichtigste Punkt findet sich jedoch in dem letzten Abschnitt Ihres Blogs. Hier stellt Sie sich für Sie die Frage, was denn das Besondere an einem Videokurs sein könnte und "was ich nicht auch in einem ähnlich aufgemachten Buch nachlesen könnte bzw. schon gelesen habe, was meinem Leben einen nachhaltigen Impuls gegeben hat." Möglicherweise trifft dieser Gedanke tatsächlich für Sie zu. Dennoch stellt diese Denke in der dargereichten Form Videokurse als Veränderungstool grundsätzlich in Frage.
Als Diplom-Psychologin und vor allem NLP-Expertin wissen Sie, dass Menschen sehr unterschiedliche Lernstrategien verfolgen. Tatsächlich gibt es viele Menschen, die aufgrund ihrer Präferenzen noch nie einen Ratgeber oder ein Selbst-Coachingbuch gelesen haben. Zudem bietet Video die Möglichkeit der direkten Ansprache und eines aktivierenden Formatwechsels (Musik, Meditationen, Reflektionen.... u.v.m.).
Bei der Entwicklung des Programms war mir wichtig, möglichst vielen Menschen die Möglichkeit zu bieten, einige wichtige Werkzeuge der Veränderungsarbeit zu erfahren und damit Coaching als Angebot einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Ich danke Ihnen für den Austausch und wünsche weiterhin nur Gutes
Ihr
Cristián Gálvez